Ein Grazer Forschungsteam wandelt auf den Spuren der legendären Expedition von Alfred Wegener und will fast 100 Jahre später seine Messungen in Grönland wiederholen. Mit im Gepäck modernste Methoden der Künstlichen Intelligenz. Die Messdaten sollen veranschaulichen, wie sich Gletscheroberflächen durch den Klimawandel verändern.
Künstliche Intelligenz auf Polarexpedition

Grönlands Eismassen bilden nach der Antarktis das zweitgrößte Eisreservoir der Erde. Zwar sind noch 85 Prozent der Landflächen ganzjährig vereist, doch seit Jahren nagt der menschgemachte Klimawandel an dem Eispanzer. Wie viel Eis in Grönland abtaut, ist von enormer Bedeutung für den Meeresspiegel und die weltweite Klimaentwicklung. Im Rahmen des Projektes „WEG_Re – Centennial Climate Drivers of Glacier Changes in Greenland“, soll nun erforscht werden, welche Zusammenhänge es zwischen Gletscheränderungen und klimatischen Treibern gibt. Das Projekt wird vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert und besteht aus einem interdisziplinären Team von Forschenden des Know-Centers, der University of Fairbanks und dem Geological Survey of Denmark and Greenland (GEUS), unter der Leitung des Gletscherforschers Jakob Abermann von der Universität Graz.

Klimatologische Brücke über 100 Jahre

„Will man die Vergangenheit realistisch rekonstruieren oder die Zukunft modellieren, ist eine längere zeitliche Perspektive wichtig. Es gibt zwar beobachtete Zeitreihen, wie sich atmosphärische Bedingungen auf die Gletscheroberfläche auswirken, sie sind aber auf die letzten Jahrzehnte beschränkt“, erklärt Datenexperte Andreas Trügler vom Know-Center die Ausgangssituation.

Die Grundlage für das Forschungsprojekt bilden Archivdaten des Wissenschaftlers Alfred Wegener, die er Anfang der 1930er-Jahre gesammelt hat. Während seiner Expedition wurden klimatologische und glaziologische Daten erhoben, die hervorragend dokumentiert und in einer für die Zeit einzigartigen zeitlichen Auflösung in den Archiven der Universität Graz zur Verfügung stehen. Klimatologisch ist der Vergleich alter und neuer Daten besonders interessant, weil in den 1920er und 1930er Jahren in Grönland eine Warmphase ähnlich der heutigen herrschte, allerdings noch mit einem weniger gravierenden Einfluss des Menschen auf das globale Klima.

Fast ein Jahrhundert später wollen die Forschenden an genau den gleichen Messstandorten und unter ähnlichen atmosphärischen Bedingungen dieselben Parameter über drei Jahre hinweg beobachten. „Was sich allerdings ändert ist, dass das Monitoring mit modernen Methoden erfolgt und die Auswertung durch künstliche Intelligenz und statistische Modellierung unterstützt wird“, sagt Trügler.

KI ermittelt Wechselwirkung zwischen Gletscher und Atmosphäre

Unterstützt von einem Hubschrauber wird das Forschungsteam autonome Messstationen auf dem Eis platzieren, die drei Jahre lang die klimatischen Verhältnisse vor Ort aufzeichnen. Die geometrischen Bedingungen des Untersuchungsgebiets sind repräsentativ für weite Teile Grönlands, wodurch die Ergebnisse übertragbar sind.

„Wir verwenden Methoden der künstlichen Intelligenz, um einerseits Lücken in bestehenden Datensets zu füllen, und andererseits neue Erkenntnisse aus den lokalen Rückkopplungsmechanismen zwischen Gletscher und Atmosphäre zu ziehen. Daten, die von einer Drohne stammen, die mit meteorologischen Sensoren ausgestattetet ist, sowie dynamische Eismodelle, helfen ein möglichst vollständiges Bild über die Veränderungen der Gletscheroberfläche und der Atmosphäre zu erhalten“, beschreibt Trügler das Vorgehen.

Einbindung der lokalen Bevölkerung

Eine wichtige Komponente des Vorhabens ist die Einbindung der grönländischen Bevölkerung. Lokale Akteure unterstützen das Projekt bei Fragen der Transportlogistik und sie werden die Messstationen regelmäßig überprüfen, wenn das Projektteam nach drei Wochen wieder nach Österreich zurückkehrt. Geplant ist, die Ergebnisse nach Abschluss des Projektes vor Ort in den benachbarten Siedlungen zu präsentieren.

 

Weitere Informationen: https://weg-re.at/